„Gemischtes Tütchen für 1,50“
Kölner Büdchen
Sie heißen Büdchen, Trinkhalle oder Kiosk, sind Retter in der Not, Treffpunkt im Veedel und Kulturraum in der Stadt. Köln ist mit über 1000 dieser urbanen Biotope Deutschlands Büdchen-Hauptstadt. Grund genug für stadtflimmern, sich in den kommenden Tagen der Kölner Büdchenkultur zu widmen.
Die Geschichte des Kiosks beginnt im islamisch geprägten Kulturraum. Das Wort Kiosk kommt aus dem mittelpersischen „kōšk“ und bedeutete ursprünglich Portikus. Über das türkische Wort „köşk“ für Pavillon, wurde es zum französischen Kiosque, bzw. zum italienischen Chiosco und beschrieb ursprünglich einen Gartenpavillon in Palastanlagen oder Parks.
Auch in Deutschland waren bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts Kioske beliebte Aussichtspunkte in Parks und Schlossanlagen. Teilweise waren die Bauten offen gehalten, von Säulen umgeben und nur mit einem Zeltdacht bedeckt. Elaboriertere Gebäude waren häufiger auch geschlossen und im asiatisch-orientalischen Stil gehalten. Ein Beispiel ist das Chinesische Teehaus in den Gärten von Schloss Sanssouci.
Im 19. Jahrhundert verlor man das Interesse an diesen Pavillons. Der Begriff ging auf kleine Verkaufsbuden in Parks und an Straßen über.
Die ersten Kiosques wurden in Paris im 19. Jahrhundert in den großen öffentlichen Parks und später an den Boulevards eröffnet. Hier wurden Blumen, aber vor allem Zeitungen verkauft; daher der Name „Boulevardblatt“. Martin Gropius entwarf 1859 erstmals eine Gebäudeform, die als Vorbild für Zeitungsverkaufsstände auf den Plätzen der deutschen Metropolen wurde.
Die ersten Kioske, bzw. Trinkhallen, nach heutigem Verständnis, entstanden in Deutschland in der Zeit der Industrialisierung: Lange Arbeitstage, kaum Freizeit und wenig Perspektive auf Besserung führte vor allem bei männlichen Arbeitnehmern zu einem hohen Konsum von billigem Schnaps und Bier. Leitungswasser zu trinken, sofern überhaupt verfügbar, stellte ein gesundheitliches Risiko dar. Um dem umgreifenden Alkoholismus Einhalt zu gebieten, förderten viele Städte, aber auch Firmen die Errichtung von Trinkhallen, kleinen Verkaufsständen, die Mineralwasser und andere alkoholfreie Getränke zu einem günstigen Preis anboten. Zunächst wurden sie direkt vor den Zechengeländen und Werkstoren aufgestellt, später auch an anderen öffentlichen Plätzen. Im Ruhrgebiet und im Rheinland hat sich das Wort „Trinkhalle“, in Frankfurt der Begriff „Wasserhäuschen“, für einen Kiosk bis heute erhalten,
Um einer Mangelernährung vorzubeugen, entstanden parallel auch sogenannte „Milchhäuschen“, die Milch und Milchprodukte anboten.
Im Laufe der Zeit erweiterten die Büdchen ihr Angebot immer mehr und bieten mittlerweile fast alles an, was man nach Ladenschluss, oder an Sonn- und Feiertagen brauchen könnte.
Die ostdeutsche Spätverkaufsstelle („Späti“) entwickelte sich übrigens Mitte der 1950er Jahre aus einem Laden für Schichtarbeiter, damit diese auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten, nach Dienstschluss, ein paar Lebensmittel, oder das Feierabendbier einkaufen konnten.
Büdchen sind in Köln aber häufig viel mehr als „Retter in der Not“, wenn man mal vergessen hat, Toilettenpapier oder Eier zu besorgen: Sie sind Treffpunkte im Veedel, Orte der Kommunikation und sogar Gegenstand von Studien.
So hat sich zum Beispiel Marco Hemmerling, Professor an der Fakultät für Architektur der TH Köln, in seinem Buch „Kiosk Parcours“ mit dem Einfluss der Büdchen auf das architektonische Gesicht der Stadt auseinandergesetzt.
Er kommt zu dem Schluss, dass obwohl die Büdchen alle verschieden sind und klassischerweise kein erkennbares oder gestalterisches Konzept zu Grunde liegt, dennoch einen leicht wiedererkennbaren Typus in der Stadt bilden. Als Gegenentwurf zu Design und Trend und somit zeitlos. Gleichzeitig passen sich Kioske ihrer räumlichen und sozialen Umgebung auch mit ihrem Angebot optimal an. So findet man zum Beispiel in der Südstadt einen Kiosk, der einen eigenen Haussekt in Kooperation mit einem bekannten Weinladen vertreibt, während man am und um den Brüsseler Platz Büdchen sieht, die sich vor allem durch eine große und schnell wechselnde Auswahl an „Trendgetränken“ von klassischen Kiosken absetzen.
Auch der Ethnologe Prof. Dr. Erwin Orywal hat sich Gedanken zu den Kölner Büdchen gemacht und sieht die Einraum-Läden vor allem als „lokale Zeitung der Nachbarschaft“ und stellt das Vertrauensverhältnis der Kunden zum/zur Büdchenbesitzer*in heraus. Man vertraut ihr/ihm den Wohnungsschlüssel an, lässt Päckchen dort hinterlegen, trinkt morgens einen Kaffee und Abends ein Kölsch, trifft Nachbarn aus dem Veedel und tauscht den neuesten „Klaaf“ aus.
Das Büdchen vereint auch soziale Schichten, denn am Büdchen sind alle gleich.
Wie sehr sich die Kölner mit „ihrem“ Büdchen verbunden fühlen, sieht man dann, wenn eine Schließung bevorsteht. Mehrfach wurde ein Kiosk in Köln von Anwohner*innen-Initiativen vor dem Aus gerettet. Die berühmtesten Beispiele sind wohl das „Nikolaus-Büdchen“ in Sülz und „Brigittes Büdchen“ in der Südstadt.
Gerade in jüngerer Vergangenheit liest man allerdings immer wieder vom Büdchensterben. Die langen Öffnungszeiten der Supermärkte machen vielen Kioskbetreiber*innen ebenso zu schaffen, wie Tankstellen-Shops und geöffnete Bäckereien an Sonntagen.
Die Betreiber*innen versuchen jetzt mit Zusatzangeboten, wie Paketshops oder integrierten Postfilialen den Kundenstrom zu erhöhen.
Laut IHK hält sich übrigens seit Jahren in Köln die Waage zwischen Gewerbeab- und Neuanmeldungen für Kioske.
Oftmals sind es die neueren Büdchen, die versuchen, ihr Angebot anders aufzustellen, als man es von einem Kiosk erwarten würde. So versucht ein Kiosk in Sülz durch ein erweitertes Angebot an Mallorquinischer Keramik das Mittelmeer ein Stück näher zu bringen, während sich ein anderer Kiosk in Braunsfeld hochwertigen Backwaren, veganen Eissorten und Bio-Ingwershots eher einem gastronomisch anspruchsvollen Publikum zuwendet.
Ein weiterer Trend, weg vom klassischen Büdchen, hin zum diversifizierten Veedelsshop, ist auch bei der Einrichtung der neuen Kioske zu beobachten. Man soll sich nicht nur wohl fühlen, sondern auch zum Verweilen eingeladen werden.
Um einen Kiosk in Köln zu eröffnen, muss man grundsätzlich nur einen Gewerbeschein beantragen. Je nach Angebotsspektrum benötigt man zusätzlich eine Alkoholausschank-Lizenz, teilweise sogar eine Gastgewerbe-Lizenz. Bietet man zusätzlich auch noch zubereitete Lebensmittel an, ist der Nachweis eines Gesundheitszeugnisses zwingend. Diese relativ unbürokratischen Verfahren sind auch der Hintergrund, dass viele Büdchen von Migrant*innen eröffnet werden. Viele sehen das Betreiben eines Kiosks als einzige Möglichkeit, sich selbständig zu machen, ohne in die Mühlen deutscher Bürokratie um die Anerkennung ihrer eigentlichen Ausbildungsberufe zu gelangen.
Peripteros in Athen (Bild: Alexialia, wikipedia) Kiosk in Kopenhagen Kiosk in São Paulo (Foto: Eric Wienke, flickr)
Während der Berliner Senat übrigens vor nicht allzu langer Zeit die Bewohner mit einer Debatte um das Ladenschlussgesetz bei Spätis gegen sich aufbrachte, beschäftigte sich das Hannoveraner Historische Museum 2017 mit der Kioskkultur und das Ruhrgebiet widmete der Trinkhalle 2018 gleich einen ganzen Tag. Selbst in München, bisher eher bekannt für die völlige Absenz jeglicher büdchenähnlicher Einrichtungen, erlebt – ausgelöst durch den starken Zuzug von Menschen aus anderen Teilen Deutschlands – gerade ein zaghaftes Erwachen einer Trinkhallenkultur.
Aber ob Büdchen, Trinkhalle oder Kiosk: Fakt ist, dass in Köln diese Einrichtung zur Kultur der Stadt gehört, wie Dom und Rhein. Nicht umsonst gibt es in Köln sogar mit dem Büdchen-Hopping eine eigene Ausgehform rund um die Kioske und touristische Führungen zu den schönsten, charakteristischsten oder berühmtesten Büdchen werden angeboten. Sogar frisch verheiratete Paare gehen nach dem „Ja-Wort“ manchmal lieber mit der Hochzeitsgesellschaft zu einem Büdchen und trinken ein Kölsch aus der Flasche, statt mit Sekt aus Plastikgläsern auf dem Rathausplatz anzustoßen. Zu guter Letzt besingen die Bläck Föös sogar in gleich zwei ihrer Songs einen Kiosk: Die „Kaffeebud“ und das „Bickendorfer Büdchen“. Letzteres gibt es übrigens gar nicht.
Also: Support Your Local Büdchen und unterstützt die Kölsche Kultur indem ihr euch einfach mal wieder ein Wegkölsch, oder ein gemischtes Tütchen für 1,50 holt.
Mehr Informationen zu den kölschen Büdchen gibt es hier:
Kölner Büdchentour